Geschichtliches:
Die Vogelmiere ist eine der wunderbaren Wildkräuter, die man praktisch das ganze Jahr hindurch sammeln kann. Selbst unter einer Schneedecke begraben findet man noch ihre grünen Triebe – vorausgesetzt natürlich, man hat sich im Herbst die entsprechenden Stellen gemerkt. 🙂
Durch ihren flächigen Wuchs, der den Boden in kurzer Zeit wie ein Polster überdeckt, gehört sie zu den Pflanzen, die man auch gerne einmal in etwas größerer Menge für einen Salat ernten und genießen darf. Gerade auch Kinder mögen ihren milden, leicht mais-erbsigen Geschmack.
Mrs. M. Grieve beschreibt in ihrem „The Modern Herbal“ von 1931:
Sie [Anm.: die Blüten] öffnen gegen neun Uhr morgens und sollen bei schönem Wetter nur zwölf Stunden geöffnet bleiben, aber Regen verhindert, dass sie sich ausstrecken, und nach einer heftigen Dusche verbleiben sie hängend, anstatt ihre Gesichter zur Sonne hin zu richten; jedoch innerhalb einiger Tage richten sie sich wieder auf.. Die Blumen blühen bereits im März und bis spät in den Herbst hinein. Die Samen befinden sich in kleinen Kapseln mit Zähnen, die sich bei nassem Wetter schließen, aber wenn sie reif sind, sich öffnen und die Samen durch jede Bewegung der Pflanze durch Wind herausgeschüttelt werden. Dies ist eines der Beispiele für die Wirkung des Windes in der Verbreitung von Samen, die in ähnlicher Form in den Kapseln von Mohn, Bilsenkraut, Nelken und vielen anderen gewöhnlichen Pflanzen zu sehen ist.[…] [1]
In Salzgitter-Fredenberg fand man bei groß ausgelegten Ausgrabungen einer mittelalterlichen Siedlung im Rahmen ethno-botanischer Untersuchungen der Ausgrabungsfunde verkohlte als auch unverkohlte Rest der Vogelmiere, teils in sehr häufigem Auftreten. [2]
[Anm.: lest ruhig einmal das ganze pdf, ist enorm spannend]
In einem Beitrag der Irish Archaeology läßt sich folgendes finden:
[…] Ein Schiefer aus dem späten 15. Jahrhundert wurde 1959 in der Smarmore Church, Co. Louth entdeckt und ist heute im National Museum of Ireland ausgestellt. Es enthält ein medizinisches Rezept, höchstwahrscheinlich für einen Umschlag, das auf ein Geschwür oder eine Wunde aufgetragen wurde, um die Heilung zu unterstützen. Das Rezept verwendet eine Vielzahl von Wildkräutern (siehe unten) sowie Weizenmehl, Schweineschmalz und Butter, um den Brei zusammenzubinden. Der Text ist in Hiberno-English / Middle English geschrieben und enthält mindestens zwei Wörter, die irisch-gälischen Ursprungs sind. […] [3]
Eine Übersetzung des Rezepts ergab folgendes:
[…] Unkraut Wegerich … .. Mädesüß und Blätter von Silverweed (irisches Wort: Briosclán) und Butter und gekocht Spitzwegerich (Lämmer Zunge) und wenig / einige Malven (Jocks) und Grundkraut und Lauskraut (Rattle), Schweinefett / Schmalz und Mauernabelkraut , Eigelb, Vogelmiere, Weizenmehl oder Roggenmehl oder ähnliches Mehl und … Butter … und zwei Stängel von roten und verrottenden Zwerg Holunder. Nehmen Sie einen Gips von Nesseln (wahrscheinlich die Taubnesselarten), Pferde-Minze, große Wegerich, Spitzwegerich und Mistel (möglicherweise aus dem irischen Wort: Druadhlus) „(nach Britton & Fletcher, 1990) […] [3]
Laut einiger Schriften wurden diverse Kräuter auch reichhaltig zum Färben verwandt:
[…]Eagles fern (Pteridium aquilinum), common chickweed (Stellaria media) and red sorrel (Rumex acetosella) were also used in mordanting.[…]
Nun aber zum Steckbrief:
Familie:
Nelkengewächse (Caryophyllaceae)
Synonyme:
Vogel-Sternmiere, Hühnerkraut, Vogelkraut, Hühnerdarm, Hühnerscherbe, Hustdarm
Vorkommen:
Weltweite Verbreitung
Standort:
Nährstoffreiche Böden wie Äcker, Gärten, Weinberge; an Wegrändern, feuchten Wiesen.
Sie bevorzugt feuchte Standorte, schattig bis sonnig.
Humusbildend, Stickstoffanzeiger
Hauptblüte:
März bis Oktober
Erntezeitpunkt:
Annähernd ganzjährig, besonders aber Frühjahr und Sommer
Vermehrung:
Samen und Ausläufer
Bestimmungsmerkmale:
- Wächst flach bis aufsteigend in großen Polstern
- Kleine, sternartige Blüten
- 5 weiße Kronblätter. Die Blätter sind 2-geteilt, so dass sie wie 10 Blätter erscheinen
- 5 grüne Kelchblätter (die grünen Spitzen scheinen unter den weißen Blättern hervor)
- 3 violette Staubbeutel
- Blüten wachsen direkt aus den Blattachseln
- Blätter ei- bis herzförmig und gegenständig
- Stiel ist einseitig behaart ( Haarleiste)
- Die Leitbündel bleiben als weißer Faden stehen, wenn man den Stengel vorsichtig auseinanderreißt
Inhaltsstoffe:
- Vitamin C
- Vitamin A
- Vitamin B1, B2, B3
- Selen
- Calcium
- Kalium
- Magnesium
- Eisen
- Saponine
- Flavonoide
- Kieselsäure
- Gamma-Linolensäure
Heilwirkung:
- Frühjahrsmüdigkeit
- Blutreinigend
- Schleimlösend
- Harntreibend
- Husten
- Asthma
- Lungenleiden
- Kühlend
- Entzündungshemmend
- Schmerzlindernd
- Entkrampfend
- Verdauungsfördernd
- Augenentzündungen
- Hautprobleme
- Gelenkentzündungen
Gefahrenhinweise:
Bei übertriebener Überdosierung eventuell Durchfall.
Verwendung:
Stengel, Blätter, Blüten:
Salat, Pesto, Kräuterquarkvarianten, Saft, Wildspinat, Mischung mit anderen Gemüsesorten, Dips, Dressings, Smoothies
Milder, zarter Geschmack, etwas mais-erbsenartig
Rezepte:
Karottennudeln mit Vogelmierenpesto
Zutaten:
- 2 dickere Karotten ( wenn möglich Urkarotten)
- Etwas Salz
- 2-3 Handvoll Vogelmiere
- Olivenöl
- 50 g Pinienkerne
- 1-2 El Hefeflocken
- 1 El geschälte Hanfsamen
- Pfeffer
- Zitronensaft
- Nama Tamari Sojasauce
Zubereitung:
Die Karotten mit einem Spiralschneider oder einem Juliennemesser in Nudeln schneiden. Etwas salzen und einmassieren, damit sie geschmeidiger werden.
Vogelmiere, Pinienkerne und Hefeflocken mit etwas Olivenöl vermixen. Nach und nach etwas mehr Öl zugeben bis die gewünschte Konsistenz erreicht ist. Die Hanfsamen zum Schluß nur noch ein mal geschwind aufmixen, so das etwas Struktur bleibt. Mit Pfeffer, Zitronensaft und Sojasauce abschmecken.
Mit den Karottennudeln servieren und eventuell noch frisches Grün darüber streuen oder rückgetrocknete Buchweizen- oder Sonnenblumenkernekeime als knuspriges Topping darüber geben.
Literaturverweise:
Rudi Beiser: Unsere essbaren Wildpflanzen. Bestimmen, sammeln und zubereiten. Kosmos Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-440-13605-8, S. 152.
Steffen Guido Fleischhauer, Jürgen Guthmann, Roland Spiegelberger: Enzyklopädie Essbare Wildpflanzen. AT Verlag, Aarau 2013. 3.Auflage 2016. ISBN 978-3-03800-752-4, S. 141.
Weblinks:
[1] https://botanical.com/botanical/mgmh/c/chickw60.html
[2] http://www.gapa-kn.de/GAPA_Band2_PDFs/18.pdf
[3] http://irisharchaeology.ie/2014/05/a-15th-century-medicinal-recipe-from-co-louth/